Ein professionelles Bikefitting ist keine Sache die man schnell einmal so nebenbei machen kann. Es ist ein zeitaufwendiger und intensiver Prozess, für den man pro Rad ungefähr zwischen 3 und 4 Stunden einplanen muss. Warum das so ist, erklären wir euch in diesem Beitrag. Wir haben ein Bikefitting mit Kathi’s Zeitfahrrad in Michi’s Radladen durchführen lassen und den Ablauf dokumentiert.
Schritt 1 – das Interview
Nach einer netten Begrüßung und den ersten Informationen zum Ablauf des Bikefitting ‘s folgt das sogenannte Interview. Ein persönliches Gespräch zwischen Bikefitter und mir (Kunde) bei dem bereits wichtige Details für das Finden der optimalen Sitzposition besprochen werden. Es werden die persönlichen Ziele besprochen, wie lange man schon Rad fährt, wie ambitioniert man den Sport betreibt, welche Distanzen (auch im Wettkampf), wie viel/oft man fährt,… Weiters werden aber auch Beschwerden oder Verletzungen angesprochen und ebenso der Beruf (in meinem Fall ein sitzender Bürojob) spielen eine Rolle.
Schritt 2 – die Beweglichkeitsanalyse
Beim Specialized Body Geometry Fit ist ein standardisierter und sehr umfassender 22-Stufen-Prozess zur Erfassung physiologischer Daten vorgesehen. Dabei werden meine Flexibilität und meine körperlichen Merkmale ganz genau untersucht. Der Ablauf der physischen Untersuchungen sind vorgegeben und die Ergebnisse werden vom Bikefitter über eine App direkt elektronisch erfasst.
Diese Daten sind ausschlaggebend um dann am Rad die optimale Sitzposition zu finden. Der Kerninhalt sind Beweglichkeitstest und Prüfungen auf mögliche Fehlstellungen. Insbesondere auf die Beweglichkeit wird großes Augenmerk gelegt. Es werden die wichtigsten Winkel genau vermessen, z.B. vom Hüftbeuger, um bei der Sitzposition auf etwaige Verkürzungen eingehen zu können. Ein ganz wesentlicher Schritt um Schmerzen, Fehlbelastungen und Verletzungen vorzubeugen.
Zum Schluss werden noch der Fußabdruck und die Sitzbeinhöcker analysiert. Der Fußabdruck und das Fußgewölbe werden thermisch analysiert um auch durch die richtige Einlagesohle nochmals eine Verbesserung und eine ideale Kraftübertragung heraus holen zu können. Die Sitzbeinhöcker werden genau vermessen, um zuerst festzustellen wie gut der aktuelle Sattel passt bzw. den richtigen Sattel zu finden. In meinem Fall hat die Breite der Sitzbeinhöcker ergeben, dass mein Sattel hinten am Sitzpolster viel zu schmal ist. Um das Gewicht richtig und möglichst schmerzfrei zu verteilen, muss man auf den Sitzbeinhöckern sitzen können. Bei mir waren sie aber breiter als der Sattel, heißt meine Sitzbeinhöcker waren eigentlich in der Luft.
Die gesamte physische Analyse ist ein sehr zeitintensiver Prozess, der bei mir gut eine Stunde gedauert hat.
Schritt 3 – die Radvermessung und Fahreranalyse (IST-Analyse)
Zuerst werden alle allgemeinen Daten meines Rades und meiner Ausrüstung (Pedale, Schuhe, usw.) erfasst. Dann wird das Rad in einem dafür vorgesehenen Rollentrainer eingespannt und für das Retül System (3D Kamera und Vermessung) positioniert. Zuerst wird mit einem speziellen Lasergerät mein Rad genau vermessen und digital erfasst. Es wird jedes Detail elektronisch erfasst, vom Schalthebel bis zum Pedal. Die Vermessung ergibt eine komplett digitale und dreidimensionale Ansicht des Rades. Dadurch ist es dann in weiterer Folge möglich einen exakten Vergleich zwischen der bisherigen und der neuen, optimierten Position herzustellen.
Nachdem das Rad elektronisch im System erfasst wurde bin ich an der Reihe. Ich muss mich auf’s Rad setzen und werde komplett verkabelt. D.h. es werden an mir unzählige Markierungspunkte anhand von Wireless-Dioden an allen biomechanisch und anatomisch wichtigen Punkten, wie Zehe, Ferse, Sprunggelenk, Knie, Hüfte, Schulter, Ellbogen und Handgelenk angebracht. Eine aufwendige Angelegenheit, denn die Markierungspunkte müssen exakt sitzen und dürfen nicht verrutschen.
Nach der vollständigen Verkabelung folgt der nächste Schritt: die Fahreranalyse. Ich trete und währenddessen wird in Echtzeit meine dreidimensionale Position und Bewegung aufgezeichnet und im System erfasst. Diese Daten bilden die Ausgangsbasis für die nachfolgende Optimierung meiner Position.
Schritt 4 – das Bikefitting
Nun startet das eigentliche Fitting. Heißt es wird Schritt für Schritt meine Position am Rad verändert und zum Optimum gebracht. Und mit Optimum ist hierbei nicht eine möglichste aerodynamische Position gemeint, sondern eine an meinen Körper und meine Voraussetzungen perfekt angepasste Position. Im Vordergrund steht bei einem Hobbyathleten wie mir der Komfort, ich soll mich wohl fühlen und keine Schmerzen am Rad verspüren. Mehr Leistung durch mehr Komfort. Dieses Gefühl wird mir während dem Bikefitting von Michi auch durchgehend vermittelt. Oft werde ich gefragt, wie fühlst du dich, ist es angenehm, spürst du wo Schmerzen, usw.
Bei mir war die erste grundlegende Anpassung der Sattel. Denn der hatte mir so gar nicht gepasst, was auch die von mir platzierten Kabelbinder zeigten. Ich probierte Sättel, die am Sitzpolster die für mich optimale Breite hatten und vorne dafür weit schmäler waren. Und ich merkte sofort eine gewaltige Verbesserung. Der zweite getestete Sattel war dann sogleich meiner. 😉
Nach dem Sattel waren die Cleats auf meinen Schuhen an der Reihe. Die hatte ich damals einfach irgendwie befestigt. Nun wurden sie 1. so eingestellt wie es auf einem Zeitfahrrad sein sollte und 2. an meine körperlichen Voraussetzungen angepasst. Was in meinem Fall hieß, dass der Rechte anders positioniert wurde als der Linke, da ich hier Muskelverkürzungen habe.
Nach jeder veränderten Einstellung an meinem Rad folgt wieder eine Vermessung im System. D.h. ich darf treten und werde dabei von allen Seiten dreidimensional gescannt und die Daten direkt in die Software übertragen. Wie haben sich die Daten verändert? Fühle ich mich wohl dabei? Bei mir werden insgesamt sechs Anpassungsschritte vorgenommen. Vom Sattel selbst, zu den Pedalen, der Sattelhöhe und Neigung, dem Vorbau, den Auflegern bis hin zu den Schuhen. Zum Schluss ergibt sich eine Position, die ich wirklich ganz anders wahrnehme, aber mich sofort sehr wohl fühle. 🙂
Schritt 5 – die Nachbereitung
Zum Abschluss bekomme ich noch einen 14 Seiten langen Bericht des Bikefittings in Form eines pdf-Dokuments bzw. Ausdruck mit nach Hause. Dieser wird aus der Software erstellt und enthält die wichtigsten Daten aus dem Bikefitting Prozess. Winkel, Fotos, vorgenommene Anpassungen und einen vorher/nachher Vergleich. Dann heißt es die neue Position daheim auszuprobieren. Auch ein kostenloser Folgetermin kann (wenn notwendig) mit Michi jederzeit vereinbart werden.
Mein Fazit zum Bikefitting
Ich fühlte mich bei Michi und seinem Team vom ersten Moment an sehr gut aufgehoben. Einerseits durch das große Fachwissen und die langjährige Erfahrung, andererseits durch ihr Einfühlungsvermögen. Der Prozessablauf ist natürlich standardisiert, was aus fachlichen Gründen perfekt ist, aber es wird darüber hinaus zu 100% auf die Person selbst eingegangen. Jeder hat andere Voraussetzungen, andere Ziele und Wünsche, vor allem auch andere Problemstellen und darauf wird bei Michi geachtet. Der Mensch auf dem Rad steht im Mittelpunkt, für ihn die individuell perfekte Position zu finden ist das erklärte Ziel.
Ich bin schon gespannt auf meine zukünftigen Bewerbe, die ich auf meinem Zeitfahrrad nächstes Jahr absolvieren werde. Mein Gefühl sagt mir, dass die altbekannten Schmerzen und Problemstellen nun ausgemerzt sind und dass auch meine Leistung besser wird. Ich werde euch auf jeden Fall davon berichten. 🙂
Mehr Informationen: http://www.radfitting.at/
Hier noch ein Beitrag bezüglich der Sitzposition