Jörg Birkel lebt seit einiger Zeit mit seiner Familie in Palma de Mallorca. Auf Mallorca machte er sich unter anderem mit seinem Unternehmen JORGE SPORTS selbstständig und bietet über das gesamte Jahr hinweg Triathloncamps mit professionellem Coaching an. Des Weiteren hat Jörg Birkel verschiedenste Fachbücher über Laufen und Triathlon verfasst, wo er seine sportwissenschaftliche Kenntnisse einbrachte.
Die meisten von uns kennen Mallorca als perfekte Destination für das Triathlontraining in faszinierenden Landschaften. Heuer fiel für viele das geplante Trainingslager leider ins Wasser und auch Jörg Birkel musste mit vielen Stornierungen zu recht kommen. Doch wie hat sich die Lage aktuell auf Mallorca entwickelt? Wie geht es den Menschen dort, die vom Tourismus eigentlich ihren Lebensunterhalt verdienen und gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer für ein Trainingscamp 2021? Ein authentischer Beitrag mit viel Transparenz.
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Wie erlebst du gerade die Corona Pandemie auf Mallorca. Auf welche Einschränkungen hat sich dabei die Bevölkerung einzustellen?
Die Situation ist mittlerweile sehr bedrückend. Corona und die damit verbundenen Maßnahmen und vor allem Reiseeinschränkungen haben Mallorca zu einer Art Geisterinsel gemacht. Die typischen Touristenspots sind quasi ausgestorben, viele Bars und Restaurants sind geschlossen oder kaum besucht. Ähnlich sieht es bei den Hotels aus; Nachtclubs und Diskotheken haben sogar Arbeitsverbot. Da wenig Aussicht auf Besserung in Sicht ist, schlägt das langsam auf das Gemüt der Mallorquiner durch. Es gibt hier kaum einen, der wirtschaftlich nicht betroffen ist. Die meisten Inselbewohner leben direkt oder indirekt vom Tourismus. In normalen Jahren ist das ein einträgliches Geschäft, aber in dieser Krise merkt man, wie fatal diese Abhängigkeit vom Tourismus sein kann.
Gibt es ähnliche Ausgangsbeschränkungen wie in Österreich oder Deutschland? Wo liegen die Unterschiede?
Ausgangsbeschränkungen wie zu Zeiten des Lockdowns gibt es derzeit nicht, aber wir haben seit Mitte Oktober eine nächtliche Ausgangssperre. Diese gilt zwischen 12 und 6 Uhr. Unterschiede zu Österreich oder Deutschland sehe ich vor allem beim Thema Maske. Wir haben seit Sommer eine allgemeine Maskenpflicht – auch im Freien. Nur am Strand oder am Hotelpool, beim oder Joggen Radfahren und beim Essen im Restaurant gibt es Ausnahmen von der Maskenpflicht. Schwimmbäder und Fitnessstudios sind bei uns dagegen noch geöffnet. Dafür sind aber Mannschafts- und Kontaktsportarten verboten.
Wie sieht es mit den aktuellen Infektionszahlen aus. Ein heißes Thema sind auch immer wieder die Anzahlen der Intensivbetten. Ist das Gesundheitssystem auf Mallorca weitgehend in Takt?
Im Frühjahr war das Infektionsgeschehen scheinbar recht moderat auf der Insel, aber im Sommer hat sich die Lage etwas zugespitzt. Zumindest, wenn man sich die Zahl der Neuinfektionen anschaut. Seit Sommer sind wir deshalb ja offiziell ein Risikogebiet. Das Infektionsgeschehen ist nach einem kurzen Hoch im August aber recht stabil. Die Inzidenz pendelt zwischen 60 und 100 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner. Bisher funktioniert das Gesundheitssystem auf Mallorca aber ohne Probleme. Im landesweiten Vergleich ist die Kapazität an Intensivbetten überdurchschnittlich: Spanien kommt auf etwa 9 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, auf Mallorca sind es 13. Zum Vergleich: Deutschland hat knapp 33 und Österreich 29 Intensivbetten auf 100.000 Einwohner – das ist weltweit Spitze.
Inwieweit ist das Gesundheitssystem auf Mallorca mit dem in Österreich oder Deutschland überhaupt vergleichbar?
Das Gesundheitssystem in Spanien ist nur bedingt vergleichbar. Es gib eine gesetzliche Versicherung in der jeder arbeitende Spanier pflichtversichert ist. Die Grundversorgung findet über Gesundheitszentren statt. Je nach Wohnort ist man einem festen Zentrum zugewiesen. Für Notfälle kann man aber auch direkt ins Krankenhaus gehen. Parallel dazu gibt es ein privates Versicherungssystem. Ich habe bspw. neben der gesetzlichen Versicherung eine zusätzliche private Vollversicherung. Dadurch habe ich freie Arztwahl und kann mich auch bei den vielen internationalen Ärzten oder in den Privatkliniken der Insel behandeln lassen. Die Privatversicherung deckt aber nicht alle Leistungen ab. Zähne sind in Spanien in der Regel nicht mitversichert und Medikamente zahlt man komplett selbst Auf Mallorca gibt es im landesweiten Vergleich eine überdurchschnittliche Gesundheitsversorgung und bisher konnte eine Überlastung des Systems vermieden werden. In der Hochphase waren 115 von 200 verfügbaren Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt. Derzeit sind wir trotz der hohen Fallzahlen nur bei 40-50 Intensivpatienten.
Die Corona Pandemie ist auch eine soziale Krise für viele Menschen, gerade auf Inseln, die vom Tourismus abhängig sind. Wie erlebst du das soziale Leben auf Mallorca, auch in Bezug zu Existenzen?
Corona steht in keinem Businessplan und hat Mallorca ziemlich überrollt. Die spanische Wirtschaft und insbesondere die Balearen sind extrem vom internationalen Tourismus abhängig. Von einer ehemals wohlhabenden Region sind wir in einem halben Jahr zu Spaniens Armenhaus geworden. Im Vorjahr waren über 14 Millionen internationale Besucher auf Mallorca, in diesem Jahr waren es nicht mal 10% davon. Entsprechend sind viele Gastroniomiebetriebe und Hotels geschlossen, aber auch der Einzelhandel leidet unter den fehlenden Besuchern. Branchenverbände schätzen, dass 50 Prozent der Bars und Restaurants das Jahr nicht überleben werden. Derzeit stehen 30 Prozent der Hotels zum Verkauf und im Vergleich zum Vorjahresmonat haben wir bereits 10 Prozent der Firmen verloren. Rund 200.000 Menschen von 1,1 Millionen Einwohnern auf den Inseln sind in Kurzarbeit oder arbeitslos geworden. Das spanische Sozialsystem wird das nicht auffangen. Es droht ein Winter der Armut. Schon vor Corona haben 25 Prozent der Inselbewohner an der Armutsgrenze gelebt. Das bedeutet in Spanien ein verfügbares Monatseinkommen von 350 Euro. In normalen Jahren bessern viele Spanier ihr Gehalt mit Gelegenheitsjobs und Schwarzarbeit auf, um zu überleben. Das war in diesem Jahr nicht möglich. Entsprechend lang sind bereits die Schlangen bei Lebensmittelbanken.
Mallorca war bis heuer immer ein Fixpunkt im Frühjahr für viele Triathleten auf der ganzen Welt. Wie schwer trifft dich der Ausfall von Buchungen für deine Trainingscamps und welche Herausforderungen sind aktuell präsent und noch zu erwarten?
Für meine Trainingslager war Corona das Aus. Es hat uns zu Beginn der Camp-Saison erwischt und ich hatte in diesem Jahr mit meinen Camps einen Umsatzaufall von 90 Prozent. Wenn ich ehrlich bin, sehe ich da auch keine Entspannung für das kommende Jahr. Je nachdem, wie sich die Pandemie entwickelt, wird es vielleicht im kleinen Rahmen ein paar Trainingslager geben, aber mit den Einnahmen planen, kann man nicht. Zudem ist das Buchungsverhalten der Kunden sehr zurückhaltend. Es kommen derzeit keine Anfragen rein. Wenn überhaupt, wird das alles sehr spontan passieren.
Bietest du irgendwelche Online-Trainings-Möglichkeiten für Triathleten an?
Ja. Zum Glück bin ich selbst ja kein Reiseveranstalter, sondern Triathlon Coach. Online-Coaching war also schon vor der Krise meine zweite Säule. Ich habe während des Lockdowns zudem Athletik-Workouts angeboten und mir tatsächlich einen Rollentrainer gekauft. Derzeit biete ich für meine Athleten zweimal pro Woche geführte Zwift-Einheiten mit Facebook-Livestream an. Das macht Spaß und ich bleibe mit meinen Athleten in Kontakt. Ich orientiere mich aber gerade beruflich etwas um. Vor meinem Umzug nach Mallorca habe ich als Online-Redakteur gearbeitet. Das mache ich jetzt auch wieder. Im Grunde ergänzt sich das super.
Kannst du irgendwie abschätzen – anhand der aktuellen Maßnahmen und Entwicklungen – wie sich die Situation eventuell für das Frühjahr 2021 entwickeln könnte? Sind Triathlon Camps realistisch oder doch noch in weiter Ferne?
Das ist eine gute Frage. Im Moment kann das keiner zu 100 Prozent sagen, aber wir schauen derzeit alle auf die Kanaren. Dort hat man das Infektionsgeschehen pünktlich zur Hauptsaison wieder unter Kontrolle bekommen. Seit dem 24. Oktober gelten die Kanaren nicht mehr als Risikogebiet und es finden wieder Urlaubsreisen dorthin statt, ohne dass man auf dem Rückweg in Quarantäne müsste. Allerdings muss man jetzt bei der Einreise einen negativen PCR-Test vorlegen, wenn man aus einem Risikogebiet kommt. So will man die Insel clean halten. Das Model wird jetzt ebenfalls für Mallorca diskutiert. Dafür müssen wir aber erst das Infektionsgeschehen in den Griff bekommen. Ich würde also sagen, es besteht leise Hoffnung, aber in dieser Pandemie weiß man ja nie wirklich, was die nächste Woche bringt.
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