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Michael Neuwirth – “Die mentale Komponente gilt manchmal sogar als peinlich.”

Im Triathlon, so wie in anderen Sportarten auch, wird der Fokus hauptsächlich auf Material und Trainingsinhalten gelegt. Gerade in den Bereichen des Amateursportes bleibt die mentale Komponente oft auf der Strecke. Vielleicht oft wegen Zeitmangels. Sicher aber auch wegen mangelnder Priorität. Wie wichtig aber ein Mentaltraining für Sportler ist weiß unser Interviewpartner Michael Neuwirth (Psychotherapeut und Coach) ganz genau. Im Interview gibt er uns Hintergrundinformationen dazu und geht vor allem auf die wichtigen Themen im Sport, Selbstvertrauen und Mut, genauer ein.




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Warum kommt im Sport die mentale Komponente oft zu kurz?

Die Gründe hierfür sind mannigfaltig, ich will mich vielleicht auf die beiden wichtigsten beschränken.

Der erste ist, dass es oft keine wirkliche Vorstellung über die mentale Dimension  gibt. Es wird so getan als ob diese Dimension nicht wirklich existiert bzw. etwas kompliziertes, diffuses oder vages wäre. Mentale Komponenten wie Selbstvertrauen oder Umgang mit Druck kann man nicht sehen oder gar angreifen. Im Gegensatz zu einer gut sichtbaren Platzierung, die Werte auf der Sportuhr, Material oder Trainingsinhalte. Man tut sich schwer hier anzusetzen, manchmal gilt es sogar als peinlich.

Der zweite Punkt ist, dass sowohl bei Trainern als auch bei Athleten häufig ein gewisser Determinismus in Bezug auf den mentalen Bereich gibt. D.h. quasi so wie die Dinge halt sind, so sind sie halt. Hat ein Trainer einen Athleten der ein starkes Mindset aufweist, gekonnt mit Druck umgeht und seine Anspannung tatkräftig umsetzt, ist er der geborene Athlet. Ist das aber andersrum gelagert herrscht Ratlosigkeit. Die Tatsache, dass er dem Druck nicht gut standhält wird zwar festgestellt, dann tritt aber gerne Punkt eins in Kraft.

Michael Neuwirth

Inwiefern prägt unsere Kultur unser mentales Mindset?

Jede Gesellschaft verfügt über ein Netzwerk von Werten, Überzeugungen und Annahmen, die nicht alle ausdrücklich benannt, aber nichtsdestotrotz Teil der menschlichen Umwelt sind. Das bedeutet, dass es für jede Kultur eine kulturelle Codierung gibt und diese ist meist unbewusst. Fest steht, dass Ideen unserer Kultur nicht offen identifiziert, aber dennoch hochgehalten und stillschweigend weitervermittelt werden. Kulturelle Ideen und Überzeugungen werden nämlich über einen Prozess verinnerlicht, der sich dem bewussten Verstand weitestgehend entzieht.

Ich gebe ein Beispiel: Der Spielwarenhersteller LEGO wurde aufmerksam, dass er sehr viel mehr Umsatz im deutschsprachigen Raum pro Kind macht als in den USA. LEGO wollte wissen warum und begann mit Befragungen mit Hilfe von Psychologen. Dabei stellte sich heraus, dass wenn ein LEGO-Bausatz für einen Düsenjet in Deutschland gekauft wurde, wurde dieser zusammengebaut und aufgestellt. Als nächstes kauft der deutsche Kunde dann vielleicht einen Bauernhof oder eine Ritterburg und so weiter und machte es mit diesen Bausätzen ebenso. Nicht so in USA, hier kauften die Kunden einen Standardbausatz und bauten einen Düsenjet, diesen dann wieder auseinander und anschließend vielleicht ein Auto oder eine Ranch.

Dieses kleine Beispiel sagt uns eine Menge über die kulturellen Unterschiede in den Bereichen Qualität, Perfektion, Risikobereitschaft, Fähigkeit mit dem Scheitern umzugehen, bzw. das Streben nach Individualität und Freiheit.  Die Amerikaner wollen nicht, dass ihnen wer vorschreibt, was sie tun sollen und sich auch nicht an fremde Standards halten. Sie wollen selber Entdeckungen machen und lernen, etwas auf eigene Art zu machen. Das hat sehr viel mit ihrem Pioniergeist zu tun, der sie ursprünglich in dieses Land geführt hat. Die ersten Einwanderer hatten auch bei ihrer Ankunft in der neuen Welt kein Handbuch. Sie mussten alles von Anfang an lernen und sie taten dies auf die einzige Mögliche Art und Weise – durch Versuch und Irrtum. Aus ihren Fehlern zu lernen sicherte ihnen das Überleben und trug dazu bei, Amerika zu einem überaus mächtigen und erfolgreichen Land zu machen.

Was sind die wichtigsten mentalen Komponenten eines Sportler?

Begeisterungsfähigkeit, Leidenschaft, Risikobereitschaft, Selbstvertrauen.

ITU Wintertriathlon

Was genau ist Selbstvertrauen und wie steigert man es?

Eine vorläufige Definition könnte sein:

  • Das Vertrauen in meine Fähigkeiten soll so tief sein, dass ich davon ausgehe mit grundlegenden Herausforderungen fertig zu werden.
  • Das auf mein Recht, erfolgreich und glücklich zu sein, das Vertrauen auf das Gefühl, es wert zu sein, es zu verdienen und einen Anspruch darauf zu haben, meine Bedürfnisse und Wünsche und Ziele geltend zu machen und die Früchte meiner Bemühungen zu genießen.

Im Wesentlichen geht es hier um zwei Stränge die ich gleichermaßen bedienen muss. Jeder Athlet muss sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen und zielgerichtet, selbstbestimmt handeln um seine Selbstwirksamkeit zu spüren bzw. zu überprüfen. Gleichzeitig darf er sich aber nicht nur über die erbrachte Leistung definieren, sondern soll sich unabhängig vom Ergebnis auch Selbstachtung entgegenbringen.

Welche Rolle spielt Mut dabei?

Der Mut spielt eine ganz wesentliche Rolle. Denn, wenn man sich neuen Herausforderungen stellt ist nicht klar wie es ausgeht. Ob es gelingt oder man scheitert. Es ist quasi der berühmte Sprung ins kalte Wasser. Wenn ich den zu vermeiden versuche (warum auch immer, es könnten hunderte Gründe sein) oder nur bereits Erworbenes bestätige bzw. verwalte, so ist es eigentlich unmöglich Selbstvertrauen aufzubauen. Kein Mensch bekommt es bei der Geburt mitgeliefert. Selbstvertrauen muss immer erst erworben werden.

Warum ist auch für den Amateursportler ein Mentaltrainer wichtig?

Ich finde genau den gerade angesprochenen Punkt mit dem Thema Mut. Der Mentaltrainer ermuntert den Athleten sich immer neuen Herausforderungen zu stellen, seine Risikobereitschaft auszubauen und neue Entwicklungen in das Zentrum zu stellen. Dabei wird der Glaube und das Vertrauen in sich selbst geschult. Ein guter Trainer hält die Dinge sehr einfach (keep it simple), fungiert quasi als Komplexitätsverminderer. Der Athlet hat meist hunderte Dinge im Kopf die ihn zweifeln lassen und verunsichern. Aber das Wesentliche in den Vordergrund zu stellen, macht den Unterschied aus. Wir wissen nicht was während dem Wettkampf alles passieren wird. Doch wenn ich gelernt habe mich auf mich zu verlassen, ist das auch nicht so entscheidend. Wichtig scheint mir, egal welche Hürde auftauchen werden, ich vertrauen darauf, dass ich ziemlich sicher etwas entgegen zusetzen habe.

Eine kleine Anekdote von Ivan Lendl achtfacher Grand Slam Sieger. Er galt allgemein als mental sehr stark und stabil. Er berichtete am Rande der heurigen US Open, wie er starke  Zweifel vor einem Grand Slam Finale bekam, weil er nur an die Stärken seines Gegners dachte. Damals blickte er seinen Coach Tony Roach an und sagte: Tony was meinst du? Ich glaub heute wird’s schwierig! Tony Roach konterte sofort: Ivan ich habe ein gutes Gefühl, wenn du unter Druck gerätst, spiele noch aggressiver.

In diesem kleinen Dialog steckt alles drinnen, Außenorientierung (Konkurrent, Rahmenbedingungen, Ergebnis), abschalten,  Fokus und Konzentration nach innen, Erinnerung an den Glauben und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Risikobereitschaft hochhalten (spiele aggressiver).

Ich denke solche Dinge kann man sich abschauen. Vor allem muss man sich klar machen, diese Phänomene im mentalen Bereich über die wir in diesem Interview gesprochen haben wurden über Jahre ganz konkret geübt. D.h. bei jeder Trainingseinheit geht es auch immer um das Wie (nicht nur um das Was). Es geht weniger um Tricks und Kniffe, als um eine prozesshafte Weiterentwicklung.

Michael Neuwirth




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1 Gedanke zu „Michael Neuwirth – “Die mentale Komponente gilt manchmal sogar als peinlich.”“

  1. Vielen Dank an Michael für den interessanten Beitrag zum Mentaltraining.
    Ich glaube, es gibt wenig Sportarten bei denen Mentaltraining so wichtig ist wie im Triathlon. Alleine schon die Selbstgespräche während des Rennens nehmen einen Großteil unserer Wettkampfzeit ein.
    Alleine schon den Mut zu haben auch mal anzugreifen obwohl noch viele Kilometer des Rennens vor einem liegen ist für Athleten eine Frage des (begründeten) Selbstvertrauens, das man jedoch mit dem richtigen Prognosetraining bereits im Vorfeld festigen kann. Ein Athlet der seine Leistungsfähigkeit genau kennt geht mit größerem Selbstvertrauen ins Rennen und wird sich nicht über- oder unterschätzen weil er gelernt hat sich nach jedem Training genau einzuschätzen. Dadurch ensteht im Laufe der Zeit eine genaue Vorstellung der eigenen Leistungsfähigkeit. Das wirkt beruhigend und motivierend denn man weiß genau wie viel noch “im Tank” steckt.

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