Michael Neuwirth arbeitet als Coach und Psychologe in seinen Praxen Linz und Marchtrenk. Wir haben mit Michael Neuwirth über die aktuelle herausfordernde und intensive Zeit rund um das Thema Corona gesprochen. Es gibt unterschiedlichste Meinungen von Experten, die Verunsicherungen auslösen. Oft auch Unverständnis für die Maßnahmen der Regierung, die für viele unter der Bevölkerung nicht nachvollziehbar sind. Dann noch tägliche Meldungen über steigende Infektionszahlen, usw. Corona überall! Ein Thema das unglaublich polarisiert und auf das Gemüt schlägt. Was kann man also für sich in mentaler Hinsicht machen, um mit der Situation zurecht zu kommen?
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Wie kann man die Komplexität des Themas für sich ordnen und lösen? Gibt es sowas wie eine Step-by-Step-Anleitung, wie man mit solchen Themen umgeht?
Sie haben recht, in der Tat scheint es sehr komplex zu sein, um den Überblick bei diesem Thema nicht zu verlieren. Ich denke es ist sehr wichtig sich bei der Situationsanalyse wirklich Mühe zu geben. Einer der wichtigsten Dinge ist sich nicht emotionalisieren zu lassen, versuchen sie kritisch zu bleiben. Das Wichtige und Entscheidende vom Unwichtigen und vielleicht sogar Überflüssigem zu unterscheiden. Sich klar zu machen, dass es eine absolute Ausnahmesituation ist und es nicht sinnvoll ist im herkömmlichen Modus weiterzufahren.
Die psychische Belastung ist für viele enorm. Gibt es eine sogenannte Risikogruppe, die dadurch eher in eine trübe Stimmung verfallen kann? Auf was soll diese Personengruppe unbedingt achten?
Im Prinzip ist niemand gefeit davor, in dieser Krise Instabilität bei sich selber festzustellen. Beim ersten Lockdown berichteten viele Klienten, dass diese von Ihnen angesprochene trübe Stimmung, sich erst so nach und nach also schleichend in Erscheinung trat. Ich möchte hier mit Modell der DOKA – Methode deutlich machen, dass man es trotz Krise und Lockdown sozial, mental und körperlich schaffen kann stark zu bleiben.
Das D steht für Disziplin, das ist ein Wort das wir eigentlich nur selten brauchen, da unser Leben ja normalerweise so aufgebaut ist, dass wir die Dinge aus einer natürlichen Motivation heraus machen, doch wir haben einen Ausnahmezustand und hier ist es unumgänglich sich immer wieder selbst in Erinnerung zu rufen, was jetzt für uns wichtig ist. Unsere übliche Routine ist ja über den Haufen geworfen und wir brauchen eine neue und klare Struktur.
Das O steht für Orte, auch hier sind wir massiv eingeschränkt, umso wichtiger ist es jetzt sich strukturiert und diszipliniert Orte zu vereinbaren und diese auch aufzusuchen. Sonst verselbstständigt sich das Ganze in Bett-PC-WC. Nutzen Sie jede Möglichkeit für einen Ortswechsel, auch wenn es noch so unbedeutend erscheint. Sorgen Sie hier für Abwechslung. Sie erziehen sie sich selbst, jede Angewohnt formt ihr Gehirn mit.
Das K steht für Kontakte. Halten Sie Ihre Kontakte im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten am laufenden. Nutzen Sie hier alle Medien die Sie zur Verfügung haben.
A steht für Aktivität. Planen Sie eine neue Aktivität ein. Seine Sie hier ruhig kreativ, ob es ein neues Videospiel ist oder eine neue Fremdsprache, Lesen, oder ob Sie an Ihrer Persönlichkeitsentwicklung arbeiten wollen bleibt Ihnen selbst überlassen.
Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein – was beschäftigt die Menschen am meisten?
Im Wesentlichen haben die Menschen in der derzeitigen Situation vor 3 Dingen Angst:
Die Angst vor…
dem Virus (Krankheit).
den Maßnahmen der Politik (Diktatur).
wirtschaftlichen Auswirkungen (Armut).
Alle Ängste die wir haben verweisen auf eine einzige Angst: Todesangst. Wir Menschen sind mit einem Stressprogramm ausgestattet das den Säugetieren ähnlich ist, wir haben kein logisches Organ das den Unterschied zwischen einer Gefahr und einem Risiko erkennt, oder sicher definiert. Deshalb ist es so wichtig sich seinen Ängsten zu stellen, diese zunächst zu akzeptieren, und diese nicht übergroß werden zu lassen. Ich vergleiche Ängste gerne mit Feuer, ohne Feuer wären wir zivilisatorisch nicht das wo wir jetzt sind, ein außer Kontrolle geratener Großbrand ist aber eine Katastrophe.
Welche psychologischen Folgeschäden könnten sich es dadurch in einem Menschen entwickeln, sofern sie unbehandelt bleiben? Ab wann empfehlen sie ein Coaching?
Wenn der Leidesdruck größer und größer wird, wenn Sie sich im Kreis drehen, wenn die Zuversicht, Hoffnung und die Selbstwirksamkeit sinkt, dann warten Sie nicht länger und holen sich Hilfe.
Gibt es eine psychologische Prävention, wenn Themen so überhand nehmen? Bewegung in der Natur soll zum Beispiel Wunder wirken. Welche nachhaltigen Möglichkeiten gibt es noch?
Generell lässt sich sagen, dass in so chaotischen und turbolenten Zeiten wie gerade, man von liebgewonnen Automatismen doch Abstand nehmen sollte, wenn diese nicht mehr funktionieren. Wie bereits oben erwähnt möchte besonders für Menschen die mit Home Office oder ähnlichen Änderungen lieber folgendes Vorschlagen:
Teilen Sie sich Ihre Zeit gut ein und vergeuden Sie sie nicht mit E-Mails beantworten oder to-do Listen, diese kleinteileigen und oft standardisierten Dinge kommen teilweise Prokrastination sehr nahe, man hat dabei das Gefühl was gemacht zu haben, aber die wichtigen Dinge bleiben weiterhin unerledigt, so verlieren wir nur noch mehr den Überblick.
Weiters richten Sie sich eine stille Stunde ein, in der sind Sie dann nicht erreichbar auch kein Internet oder Telefon. Sie werden sehen, wenn Sie das mal einüben wie viel Sie davon profitieren werden und oft kommen erst in dieser Zeit die guten Ideen oder die nötige Perspektive für das große Ganze.
Übertreiben Sie es nicht mit der Genauigkeit, halten Sie stattdessen die 80% Regel ein. 80% sind in den allermeisten Fällen auf jeden Fall genug. Wenn Sie nicht gerade als Fluglotse oder als Chirurg arbeiten.
Der vielzitierte Spaziergang oder Lauf im Wald ist aber nicht umsonst der Klassiker schlecht hin. Die Natur erdet und beruhigt uns, sie ist die große Konstante in unserem Leben, auch der Übergang der Jahreszeiten passiert in langsamem und verträglichem Tempo, wo man sich gut einschwingen kann.
Nehmen Sie bitte von Zielen Abstand, konzentrieren Sie sich vor allem auf den Prozess bzw. auf den Weg, Ziele sind oft über ambitioniert und viel zu ergebnisorientiert, bei einem Weg ist vor allem der nächste Schritt wichtig, den muss ich vor allem kennen, alles weitere ist oft spekulativ.
Das soziale Distanzieren soll zurzeit als Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie forciert werden. Welche Gefahren – speziell für die oben erwähnte Risikogruppe und auch generell – ergeben sich dadurch. Was muss man hier speziell berücksichtigen, sodass man womöglich nicht „vereinsamt“? Was ist speziell für einsamere Menschen zusätzlich zu berücksichtigen (z.b. ältere Personen oder Menschen, oder jene die ein kleines soziales Umfeld haben)
Ich glaube dass die Einsamkeit ein Zustand bzw. der Leidenszustand der Zukunft sein wird. Hier möchte ich den älteren Menschen Mut machen.
Lernen Sie neue Methoden auch der (digitalen) Kommunikation, trauen Sie sich da drüber, es hat seine Vorteile und Sie werden am Schluss davon profitieren, Sie werden merken wo diese neuen Methoden überall anwendbar sind. Wenn ich immer nur das mache was ich kenne, kriege ich auch immer dieselben Ergebnisse. Hab ich mich aber bei Zeiten neugierig und aufgeschlossen auf neue Methoden eingelassen, kann ich diese auch in der Krise einsetzen, habe einfach mehr Spielraum. Ein gutes negativ Beispiel ist das Home schooling, wir waren den Präsenzunterricht seit Jahrzenten gewohnt, es wurde nie mit alternativen Methoden gespielt bzw. geliebäugelt, diese nie ausprobiert, die dazugehörige Infrastruktur nie aufgebaut, das Ergebnis ist deutlich zu sehen.
Probieren Sie auch Dinge die Sie bisher gemacht haben und die gut funktionieren einfach zu verbessern, sozusagen die bisherige Technik upgraden. Das kann auch sein das manches zu nichts führt bzw. auch Schrott dabei ist, gleichzeitig bleiben Sie aber am laufenden und im besten Fall haben Sie bessere Abläufe und bessere Ergebnisse und vergessen Sie nicht, dass Sie auf diese Weise auch am besten sicherstellen, geistig jung zu bleiben.
Hier erfährt ihr mehr über Michael Neuwirth.
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1 Gedanke zu „Michael Neuwirth über neue Wege in einer Krise“