Man möchte meinen, das Schamgefühl ist ein antiquiertes Empfinden. Es ist jedoch gegenwärtiger als man es zu meist vermutet. Bereits im Schulsport kann ich mich als Übergewichtiger an viele peinliche und verletzende Erlebnisse erinnern. Im Turnunterricht steht der eigene Körper im Mittelpunkt und bereits hier macht sich für viele ein hoher gesellschaftliche Druck bemerkbar. Wenn sich dann wie bei mir noch der Turnlehrer über einen amüsiert, ist es für die eigene Psyche nicht gerade hilfreich und aufbauend. Dieses Gefühl der Scham spürte ich auch bei meinen ersten Laufkilometern. Ok, am Anfang waren es Meter.
Was wohl die entgegenkommenden und mich überholenden anderen Läufer über mich denken? Da gibt es Spaziergänger die kaum langsamer sind als ich. Es fühlt sich an wie eine öffentliche Bloßstellung und so bekam ich gnadenlos einen Spiegel vorgehalten, der meinen nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechenden Körper zur Schau stellte.
[Anzeige powered by Google]
Setze dir realistische Ziele
Nach einer kurzen Phase des Zweifels, setzte ich mir Ziele bewusst nach ein paar Kriterien. Diese müssen realistisch sein. Bei einem Marathon in zwei Wochen am Start zu stehen, schloss ich aus. Es sollten 5 km durchgehend Laufen sein. Auch das ist für komplette Neulinge wie mich damals ein ambitioniertes Ziel gewesen. Weiters sollten meine Ziele zeitnah zu erreichen sein. Anfänglich ist es wichtig, dass Etappenziele nicht zu weit auseinander gesteckt sind. Regelmäßige Erfolgserlebnisse wirken motivierend.
Vergleiche machen unglücklich
Eine weitere wichtige Erkenntnis: Vergleiche sind Gift fürs Ego. Vor allem am Anfang. Es macht keinen Sinn, sich aufs Tempo zu versteifen, da die Bewegung in erster Linie Spaß machen soll. Trotz Strapazen wird es im Körper zu einer Ausschüttung von zahlreichen Botenstoffen im Körper kommen, die dir ein positives und befriedigendes Gefühl vermitteln.
Gerade in solchen Phasen ist es also wichtig sich auf seine Stärken und den geplanten Weg zu fokussieren. „Meister sind noch keine vom Himmel gefallen“ mag abgedroschen klingen, ist aber sehr oft zutreffend. Mit jeder positiven Erfahrung wird das Selbstvertrauen steigen und die Brust wird Schritt für Schritt breiter werden. Ein auftretendes Schamgefühl ist als eine Art innere Alarmglocke zu sehen, die einen darauf aufmerksam macht, dass man mit einem persönlichen Umstand nicht zufrieden ist. Im Umkehrschluss kann man dies als Chance und Motivation sehen, an sich selbst zu arbeiten.
Meine ersten Erfolge
Um mich so gut wie möglich auf mich selbst zu konzentrieren, suchte ich also nach abgelegenen Laufstrecken und den Schutz der Dunkelheit. Rückblickend war ich 1,5 Jahre durchgehend bei jeder sportlichen Aktivität alleine unterwegs. Die erste alpine Wanderung in Gesellschaft war begleitet von der Sorge, ob ich denn das Tempo meines Kollegen mitgehen kann. Welcher wohlgemerkt ein guter langjähriger Freund von mir ist und war, der bei Bedarf sicher auf mich und die Begleitumstände Rücksicht genommen hätte. Was aber zum Glück nicht notwendig war. Eine erste Befreiung war spürbar und ein großer Teil meiner Scheu vor gemeinsamen sportlichen Aktivitäten war gefallen. Es sollte mein erster öffentlicher „Wettkampf“, ein 5km Lauf, folgen.
Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass alle Sportneulinge meine vollste Bewunderung haben. Tugenden wie Mut und Disziplin kann man sich nicht kaufen. Und mit jedem deiner Schritte überholst du alle, die zuhause auf der Couch liegen geblieben sind.
Mehr Infos zu Wiggi gibt es auch im Interview mit unserem Gastautor.